Das Rachel-Tagebuch by Martin Amis

Das Rachel-Tagebuch by Martin Amis

Autor:Martin Amis [Amis, Martin]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Kein & Aber AG
veröffentlicht: 2015-07-28T22:00:00+00:00


Fünf nach zehn:

DAS WÄLDCHEN

Keine zwei Stunden mehr und noch über zwei Monate. Aber die Dinge vereinfachen sich in dem Maße, in welchem ich älter werde.

Jetzt öffne ich das Fenster, das auf den Wald geht. Es ist Dezember, sehr kalt, also mache ich es bald wieder zu.

Im Zug nach Oxford kam Rachel auf ihren Vater zu sprechen – anscheinend hatte er ihr einen »total gemeinen« Brief geschrieben, den sie heute Morgen bekommen hatte. Sie führte das Ein-echter-Bastard-Thema weiter aus und ergänzte einiges an Vorgeschichte. Ihr letztes Zusammentreffen mit »Jean-Paul d’Erlanger« (Rachel benutzte den Mädchennamen ihrer Mutter, man frage mich nicht, weshalb) hatte in diesem Sommer stattgefunden, als DeForest persönlich sie für ein paar Wochen nach Paris gebracht hatte. Von einigen unangenehmen Vorfällen abgesehen, hatten alle eine »wunderbare Zeit«. Ich horchte beglückt auf, als Rachel deutlich machte, worin diese unangenehmen Vorfälle im Wesentlichen bestanden: darin, dass M. d’Erlanger zuerst in Andeutungen und dann frontal klargemacht hatte, wie sehr er DeForest hasste und verachtete, dem dann in der Tat auch eins seiner Ohren von dem leidenschaftlichen Franzosen noch stärker blumenkohlisiert worden war. Rachel lud mich ein, dies als Zeugnis des hinterwäldlerischen Naturells ihres Vaters zu sehen. DeForest, so erfuhr ich, war sehr verständnisvoll gewesen und hatte das Ganze seither nie mehr erwähnt.

Als ich fragte, was in dem Brief gestanden hätte, starrte Rachel eine volle halbe Minute aus dem Fenster in die Vorstädte von Reading, ehe sie mir mitteilte, das sei zu schrecklich, als dass es sich wiederholen ließe. Ich beschloss, es dabei zu belassen und ihr großzügig die Pointe dieser Szene zu schenken. Als Pausenfüller und um sie indirekt ein wenig zu trösten, erzählte ich ein paar recht diffuse Lügen über elterliche Grausamkeiten, die ich erlitten hatte, wobei mein Vater in der Rolle des dionysischen Rüpels, misslaunigen Nachtschwärmers, Au-pair-Fickers und so fort auftrat.

Wir trafen als Erste ein.

Mutter schien irgendwann im Laufe des Nachmittags an Tollwut erkrankt zu sein. Sie verbreitete solch eine blind hysterische Hektik, dass Rachel und ich noch vor jeglicher Begrüßung oder Vorstellung sofort fragten, ob es irgendetwas gäbe, was wir tun könnten – solange noch Zeit, noch Hoffnung war. Es schien, dass Rachel mit dem (sehr attraktiven) Au-pair-Mädchen zusammen Kartoffeln schälen konnte. Was ich tun konnte, was ich in der Tat unbedingt tun musste, war nach Oxford reinzufahren und Valentine zu holen.

»Aber ich kann nicht fahren«, sagte ich.

»Aber du hast doch Fahrstunden gehabt?«

»Ich weiß.« (Fahrstunden waren das Standardgeschenk zum siebzehnten Geburtstag in der Familie Highway, wo man auf Mobilität hielt.)

»Und du hast die Prüfung gemacht?«

»Ich weiß. Aber ich bin durchgefallen.«

»Aber du hast doch wiederholt?«

»Ich weiß. Aber ich bin wieder durchgefallen.«

»Nun, jetzt ist es zu spät. Wo hab ich den Schlüssel hin?«

Ich fuhr in Mutters Mini los und hatte dann auch beinahe eine alte Frau voll auf der Kühlerhaube.

Nachdem ich eine prätentiöse kleine Mautbrücke passiert hatte (die Gebühr betrug kokette dreieinhalb Pence), erhöhte ich die Geschwindigkeit auf vierzig Meilen, da die Straße nun gerade dahinlief. Bei diesem Tempo war es ratsam, den Stöckelschuh, der zu diesem Zweck in einer der Seitentaschen



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